Streit setzt Rest-Alpengewässer unter StromDie Schweiz soll mehr Elektrizität aus Wasserkraft erzeugen – und dafür ihren Gewässerschutz lockern, ein Ständerats-Traktandum sorgt für Wirbel. Naturschutz-, Fischerei- und Gewässerschutzorganisation sind schockiert. Die Alpen-Kantone brauchen Geld und die Elektrizitätswirtschaft neue Kapazitäten. Basel/Bern. Schlicht als „absurd“ verurteilt der Basler Pro Natura-Mitarbeiter Beat Jans die Idee, den Gewässerschutz zu „flexibilisieren.“ Es gehe darum, den „letzten Tropfen aus den Flüssen und Seen für die Stromproduktion“ herauszupressen. Der WWF-Gewässer- und Alpenschutzkenner Andreas Knutti sagt: „Auf unserer Seite ist klar: Der bestehende Restwasserschutz ist das nicht verhandelbare Minimum.“ Dagegen bringt der Direktor des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbandes die Position der Branche auf den Punkt: „Die bisherige Restwasser-Regelung ist zu starr, immerhin wird mit Wasserkraft Elektrizität ohne klimaschädliches Treibhausgas erzeugt.“ Ist Klimapolitik ein Ass im Strompoker? Die weitergehende Nutzung der Gewässer in der Schweiz wurde unversehens wieder zum Top-Thema. Getäuscht sieht sich, wer nach der Annahme des Gewässerschutzartikels 1992 gemeint hatte, Schutz und Nutzung der Gewässer seien unter Dach und Fach. Unruhe stiftet seit knapp einem Jahr der Walliser CVP-Ständerat Simon Epiney. Er trug ein für die Schweizer Politszene neuartiges Argument erstmals vor: die Treibhausgas-Reduktion soll durch eine Erhöhung der Elektrizitätserzeugung aus heimischen Gewässern bewerkstelligt werden - und wäre zugleich ein Beitrag der Schweiz ans Kyoto-Protokoll. Kyoto-konform gehen mit neuen Kraftwerken? Nach Epiney wären rund fünf Terawattstunden (TWh) Mehrproduktion, oder knapp ein Zehntel gemessen am schweizerischen Stromverbrauch, denkbar, wenn der Gewässerschutz flexibler als heute gehandhabt würde. Völlig überraschend argumentiert Epiney dabei mit dem Treibhaus-Debatte: bis zu 2,5 Millionen Tonnen klimaschädliches Treibhausgase könnten durch gering erscheinende Massnahmen in der Schweiz, nämlich die Erweiterung der Wasserkraftnutzung, „gratis“ eingespart werden – würde dadurch ein entsprechendes Quantum herkömmlicher, aber europäischer Krafterzeugung ersetzt. Sprich: ins Ausland als Strom exportiert, wo eine unverminderte Nachfrage sicher ist. Hintergrund: derzeit blüht der Stromexport. Steigende Preise garantieren der Branche Einnahmen wie noch nie und dank Monopol – das weiterhin feste Einnahmen garantiert - ist die einheimische Elektroenergie-Gewinnung, abgesehen von ein paar Ausnahmen, wirtschaftlich so billig wie noch nie, mit anhaltender Tendenz. Ausverkauf der Gewässer für Exporte? Hinter Epineys Ansinnen stecken aber viel mehr Gründe als nur Expansionsgelüste der Branche, dies förderte eine parlamentarische Anhörung im Herbst zu Tage. Epiney, ein streitbarer Walliser und im Parlament berüchtigter Vertreter der so scherzhaft genannten „Alpen-Opec“, der einflussreichen Allianz der Bergkantone im Bund, muss den klammen Finanzverwaltern aushelfen, ein gutes Beispiel dafür ist derzeit Glarus. Die derzeit rund 400 Millionen Franken Wasserzinsen pro Jahr, machen beträchtliche Anteile an den verschiedenen Staats- und Gemeindehaushalten aus. Was tun also, wenn Steuererhöhung unmöglich erscheinen und gleichzeitig die Steuereinnahmen sinken? Andreas Knutti vom WWF: „Dieser Aspekt spielt wahrscheinlich eine grosse Rolle.“ Walter Hauenstein vom Wasserwirtschaftsverband wiegelt ab: „Primär geht es um die umweltschonende Stromerzeugung. Aber es war schon immer klar, dass das Gewässerschutzgesetz in seiner heutigen Form nur deshalb besteht, weil alle müde waren darüber zu streiten.“ Sprich: da muss nachgebessert werden. Hauen und Stechen im Ständerat Was Umweltschützer und zum Schluss auch Linke besonders an Epineys Vorstoss alarmiert, ist die von ihm gewählte Form der „parlamentarischen Initiative“. Sie lässt dem Gesetzgeber wenig Spielraum – sie muss allerdings, so sind die Spielregeln, von der zuständigen Kommission der kleinen, oder grossen Kammer eingebracht werden. Dies erklärt, weshalb das "Geschäft Epiney" bisher nur hinter verschlossenen Türen für Zoff gesorgt hatte. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates (UREK SR), heute präsidiert vom Solothurner Ständerat Rolf Büttiker, hatte eine Anhörung veranstaltet, an der unüberwindliche Gräben sichtbar wurden. Obwohl in der Kommission fast durchwegs auch mit der Elektrizitätswirtschaft verbandelte Politikerinnen und Politiker sitzen, entschied sie sich gestern nun zu einem „moderateren“ Vorgehen. Dazu liess sie vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landwirtschaft (BUWAL) einen Alternativvorschlag ausarbeiten, vor dessen Hintergrund gestern Epiney seine parlamentarische Initiative zurückzog. Über den kommissarischen Gegenvorschlag war gestern nichts mehr in Erfahrung zu bringen. Ob deshalb, wie in Naturschutzkreisen gesagt, von einem „Teilsieg über eine Absurdität“ gesprochen werden kann, bleibt derzeit aber bis auf weiteres offen. Was Wasser kraft Wasserkraft schafftEines naturräumlichen Zufalls wegen entwickelte sich der Hochrhein zum Herz des europäischen Stromverbunds: dank der hohen Wasserkraft, die der Rhein zwischen Bodensee und Basel schafft. 25.8.03, Liestal. Die elektrische Energie für die Glockenzüge kam aus Laufenburg, als am 8. Mai 1945 in Paris die Friedensglocken läuteten. Kriegsunversehrte Schweizer Elektriker hatten informell ihren kriegsversehrten Freunden in Paris mit einer „Schaltung“ ausgeholfen. Dazu wurde die alte Verbindungslinie via „Ilê de Paris“ unter Strom gesetzt, wie ehemalige, eingeweihte Mitarbeiter des damaligen Kraftwerks Laufenburg zu berichten wissen. Der Strom vom Hochrhein spielte elektrizitätswirtschaftlich von Anfang an eine besondere Rolle. Wenn die Europäer, speziell die Schweizer ein bisschen mehr Begeisterung gezeigt hätten, wäre Rheinfelden als erstes Grosskraftwerk der Welt ans Netz gegangen. So war es aber Niagara 1895 in den USA, Rheinfelden folgte 1898. Dabei waren die Pläne für das Rheinkraftwerk schon Jahrzehnte alt. Alleine, den Zürcher und Basler Investoren war das Vorhaben viel zu Wagnisreich. Für sie war - heute schier unbegreiflich - Elektrizität eine Angelegenheit mit unbekanntem, unkalkulierbarem Ausgang sprich Rendite. Um die Schweizer Elektroindustrie anzustossen, benötigte es einer Figur der Weltelektrifizierung: Emil Rathenau (1838-1915), dem ersten Unternehmer modernen Zuschnitts, Freund und Lizenznehmer des New Yorkers Thomas Alva Edison (1847-1931), dem Begründer des „Systems Elektrizität.“ Rathenau kannte die Hochrheingegend von Besuchen. In seinen Augen genoss sie Förderungswürdigkeit. Einer einmaligen, naturräumlichen Zufälligkeit wegen: seiner Topographie. Zwischen Bodensee und Basel entwickelt der Rhein durch das Gefälle von durchschnittlich ca. einem Meter pro Kilometer ein enormes Tempo, sprich Druck, sprich Antriebskraft – für Turbinen, oder Mühlen, wie sie schon die Römer nutzten. Rheinfelden hatte ein weiteres Startproblem: es erzeugte mehr Strom als Kunden benötigten. Rathenau war aber auch Chemie-Manager, und gut, benötigte moderne Chemie viel, viel Strom für: Aluminium! Das eben erfundene „Silber aus Dreck“, das durch Elektrolyse –quasi „Stromschmelze“ - gewonnen wird. So siedelte der Berliner in Rheinfelden ein Alu-Werk an, neben anderen energieverschlingenden Hochtechnologien und die Nachfrage war gesichert. Das Aluwerk finanzierte die Kraftwerksanlagen mit – bis letztes Jahr, als die Betreiberin die Gleichstromgeneratoren zurückkaufte. Heute gehört das Werk der „Energiedienst AG“ (ehemals „Kraftübertragungswerke Rheinfelden“/Kraftwerk Laufenburg), die mit ihrer Marke „Naturenergie“ die grösste Ökostromerin in Deutschland ist. Auf einen anderes deutsches Werk, RWE, geht das legendäre Stromkreuz Laufenburg zurück, das nicht nur im Zweiten Weltkrieg Teile von Europa mit Hilfslieferungen vor dem Blackout bewahrte. Die Rhein-Ruhr-Kohlefelder mit der Wasserkraft des Schwarzwaldes und der Schweiz zu verbinden war der Gedanken hinterm „Verteilungsstern“. Es war das Fundament für den europäischen Stromverbund, der durch den Beitritt der neuen Ost-mitteleuropäischen Länder nächstes Jahr gross wie nie wird. Aufbauend auf den Verbund gibt es Planungen für „transglobale Netze“, in denen riesige Strommengen an gerade benötigte Plätze geschoben werden – was neue Kraftwerke spart. Die Entwicklung zeigt: Nach Rheinfelden 1898 entwickelte sich Strom zum Selbstläufer, entscheidend in den 1950ern Jahren. Zwischen Bodensee und Basel entstanden elf Kraftwerke, ein zwölftes wurde in den 60ern abgeblasen. Das Werk Birsfelden ist eines der modernsten, Ryburg-Schwörstadt das grösste. Insgesamt erzeugen alle zusammen pro Jahr soviel (ca. 4500 Millionen Kilowattstunden kWh) wie das Dreieckland verbraucht (Nordwestschweiz, Markgräflerland und Hotzenwald, teilweise Oberelsass), oder ein Zehntel der Schweizer Stromproduktion. Rheinfelden ist im Gegensatz zu den übrigen Werken für eine technische Überholung zu alt. So ist ein Neubau geplant, der insgesamt 450 Millionen Euro verschlingen würde. Die Finanzierung ist ungewiss, da der Strom teurer ist als z.B. aus Kohle- und durch die Stromkunden zwangsbezahlten, das heisst, heute nahezu schuldenfreien Atomkraftwerke. Ein anderes Problem ist, dass nach 200 Jahren schonungsloser Rheinausbeutung das ökologische Gleichgewicht wieder Beachtung findet: die Natur mit der Wasserkraft zu versöhnen, ist eine Aufgabe für Jahrzehnte mit heute noch unbekanntem Sponsor. |