Früh unter Strom

"Baden unter Strom" von Bernward Janzing  

„Baden unter Strom" von Bernward Janzing beschreibt auf 300 grossformatigen Seiten und mit vielen, meist historischen Fotoaufnahmen, wie vorab im Schwarzwald eine regionale Kraftwerkslandschaft mit den ihr zugehörigen Netzen herauswuchs.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut. Es beginnt mit der Stadt Triberg, bekannt für seine Wasserfälle, die in den 1880ern eine öffentliche elektrische Beleuchtung einführte. St. Blasien, Badisch Rheinfelden, Pforzheim, Waldkirch, Donaueschingen, Gengenbach, Engen, Singen, Achern, Albbruck, Wiesloch, Zell-Mambach und viele andere Gemeinden schliessen sich an, teils deren Industrielle, teils die Öffentlichkeit. Eher später ziehen die öffentlichen Kraftwerksversorgungen der Städte nach: Mannheim, Freiburg.

Generell trieben zunächst Industrielle, Brauer, Textil- und ein Zündholzhersteller, Papierfabrikanten und Maschinenhersteller vor Ort die Elektrifizierung voran, weil sie das wirtschaftliche Potential des Stromes für sich erkannten – geringere Feuergefahr, Licht für den Nachtbetrieb, konstanterer Motorenbetrieb (in Kombination vorbestehender Wasserkraft und Kohledampfmotor). Dies fiel den Badenern relativ leicht, weil im Prinzip endlos viele, vorbestehende, und teilweise bereits auf Turbinen umgerüstete Wasserkraftwerke vorhanden waren. Sie brauchten nur um einen Generator und die Stromverteilung ergänzt zu werden. Gerade der Schwarzwald, das vom Kleingewerbe und Fachhandwerk lebte, im Gegensatz etwa zu „klassischen“ Stahl- und Kohlegebieten, den Handelsstädten oder den  Landwirtschaftsregionen im Tiefland, bot der Strom eine enorme Verbesserung der Effizienz in der Warenproduktion. Z.B. in Pforzheim, für die dortige Schmuckindustrie - das half dem Süden gleichzeitig, seine Wirtschaftsproduktion auf künftige Gegebenheiten einzustellen. Gleichzeitig war es so, dass - gerade auch wegen - der gut ausgebauten Wasserkraftversorgung zahllose Kraftanlagenbesitzer lange zuwarteten mit dem Strom, die Erschliessung war daher ungleichmässig.

Das Thema bietet sich zum Beschrieb an: Zwischen 1880 und 1950 entstand rechts von und an Ober- und Hochrhein und an seinen zahlreichen Zuflüssen ein bedeutender, aus vielfältigsten Motiven gespiesener elektrischer Kraftwerkspark, der auf kleingewerblicher oder gar genossenschaftlicher Wirtschaft fusste. Geplant von Industriellen, fürstlichen Betrieben, Gemeinden und Städten, und schliesslich dem Bundesland Baden-Württemberg und seinem staatlichen Elektrizitätswerk. Interessanterweise wird der Staatseinfluss gerade erst in diesen Jahren besonders deutlich durch die Politik der EnBW (Energie Baden-Württemberg AG).

Bernward Janzing, ein Freiburger Energie- und Umwelt-Journalist, verfolgt die Entwicklung in Baden  Schlaglichtartig am Beispiel von 40-50 ausgewählten grossen- und kleinen Werken. Motto: das deutsche Bundesland Baden sei ein Pionier der Elektrifizierung gewesen – und sei dies bis heute geblieben. Baden stehe dabei für zukunftsweisende Lösungen. Andere dagegen verwalten die „Vergangenheit in Form der Kohle." Das ist eine kühne These – die so nicht belegt werden kann. Trotzdem macht es Spass, wenn auch Ausdauer und wirklich elektrotechnisch-historische Neugier angesagt sind, Janzings Recherchen in Vergangenheit und Gegenwart zu folgen.

Sein Verdienst ist, erstmals in einem Werk einen Überblick über das Geschehen zusammengestellt zu haben, das sind eher seltene Werke. Vergleichbar ist der Bildband am ehesten mit „Thüringen im Strom der Zeit", dem Jubiläumsband der Thüringer Energie AG. Im Aufbau ähnlich ist es mit Toni Siegerts „Elektrizität in Ostbayern" von 1988, der die regionale Entstehungsgeschichte bis 1945 dicht dokumentierte. Was die Elektrifizierung im Optimum für Bildmaterial hergibt, zeigt der eben erschienene Band „Elektrizität in historischen Photographien von Emil Leitner und Hans Finsler 1920-1930", herausgegeben von der Mitteldeutschen Energie AG (MEAG) - allerdings fehlt hier das erzählerische Moment. Über die Elektrogeschichte von Baden-Württemberg liegt zwar ein dreibändiges Werk vor – aber Lesestoff im Sinne Janzings ist es nicht, es wendet sich an Spezialisten. So liefert der engagierte Regionalverlag Dold ein vergleichsweise einzigartigen Bildband. Als Interessierter muss man diesen zur Kenntnis nehmen. Wer Spass an alten Industrieaufnahmen hat, findet hier zusätzlich seinen Gefallen.

 

 

Wie das elektrische Licht schliesslich zu Repräsentationszwecken wichtig wurde, wird an den Beispielen Baden-Baden und Donaueschingen deutlich, wo der fürstliche Betrieb sich nicht dem Anschluss an die Moderne entziehen wollte, und die mondäne Kurstadt darauf nicht verzichten konnte.

Freiburg und Mannheim engagierten sich spät, zumal die vorbestehenden Gaswerke gut rentierten. Auch hier konnte man sich der Modernisierung durch das elektrische Licht nicht entziehen. In den 20er Jahren zieht Strom flächendeckend aufs Land ein. Wo die grossen Gesellschaften und Banken untätig bleiben, gründen die traditionell selbständigen Badener Selbsthilfe-Genossenschaften.

Die ausufernde Wasserkraftnutzung führte erstmals um die Jahrhundertwende zu Konflikten: Beim Hochrhein-Kraftwerk Laufenburg. Es ging um die Stromschnellen unterhalb des Städtchens, grosse Sehenswürdigkeiten. Diese wurden trotzdem überschwemmt. Es war einer der ersten grossen deutschen Naturschutzkontroversen.

Trotz der reichen Wasserkraft, fanden in der Region Kohledampfmaschinen und, wenig später, Dieselgeneratoren reichen Absatz. Damit wurde der unruhige Wassergang des Mittelgebirges ausgeglichen. Kohle spielte hier eine bedeutende Rolle, verglichen mit der topographisch vergleichbaren Region Nordwestschweiz vis-a-vis vom Schwarzwald. Was beweist, dass auch in Baden in Kohle-Kategorien gedacht wurde wie es für das Deutsche Reich typisch war. Überspitzt zum Ausdruck kommt dies beim Grosskraftwerk Mannheim, zeitweilig einem der grossen Steinkohlekraftwerke. Entscheidend war hier einfach die Schiffbarkeit des Rheines für grosse Frachtkähne – und mächtige Diesel- und Dampfmotoren zum Schiffsantrieb.

Auch Freiburg im Breisgau setzte auf Kohle bzw. Diesel. Nur partiell, so beim Rheinkraftwerksprojekt Wyhlen, kam man auf den Gedanken, „die Tyrannei" der Kohle zu brechen. Eher aus Not, Kohleknappheit nach den Kriegen, wurde die Wasserkraft intensiver genutzt. Den Konflikt um die Kohleverwertung löste Baden eigentlich nur so, indem es anfing, Strom aus den Industrieregionen Deutschlands zu importieren – nicht eben vorbildlich.

Eine andere Story ist Rheinfelden als „europäisches Niagara". Es bildete eine wirtschaftshistorische Ausnahmeerscheinung. Erst siedelten die Gründer hier absichtsvoll stromfressende Industrien an (Aluminium, Azetylen), um ihr Kraftwerk überhaupt auszulasten. Dann erstellten sie das Kraftwerk. Finanziert von AEG-Gründer Emil Rathenau und durch seine Schweizer Finanz-Holding blieb das Werk bis 2002 in Schweizer Hand. Noch vor der Energiewende der rot-grünen Bundesregierung 1998 erregte der stramme Grosswirtschaftskurs der Rheinfelder, einem der wenigen echt privatwirtschaftlichen und Shareholder-Value orientierten Elektrizitätswerke in Deutschland, die Schwarzwaldregion. Netze wurden nach zähem Ringen abgetreten an Gemeinden mit Eigennutzinteressen und Bürgerinitiativen, die dem Rheinfelder Atomstromkurs nicht folgen mochten. Zum Beispiel in Schönau, wo die "Stromrebellen" die Energiewende wollten. Ob sie nun als alternatives EW wirklich bestand haben werden, wäre eine interessante Frage gewesen, die hier leider nicht gestellt wird.

Nach 1920, so wird bei Janzing deutlich, setzte der gezielte Grosskraftwerksbau ein. Dieser flutete in den 50ern die letzten grossen Schwarzwaldtäler zugunsten der Stromproduktion – mit grossen Ausnahmen. Man hoffte auch auf die Atomenergie. Nachdem die Region erste ölkraftwerke abgeblockt hatte, aus Angst vor Emissionen (worauf Janzing nicht eingeht), hatte es erwartungsgemäss auch der Bau von eigenen Atomkraftwerken schwer, Wyhl sei hier genannt.

 

Der Streit um Täler und thermische Wärmekraftwerke hatte die Region bereits seit längerem auf Widerstand eingestimmt. Aus dieser Bewegung heraus entstand die Öko- und Energieeffizienzbewegung, die mehr bewegt hat (in Kilowattstunden gezählt) als neue Energietechniken wie Wind z.B. Ein völlig untergegangener Gedanke. Janzing beschreibt die Solarhauptstadt Freiburg und die Schönauer Stromrebellen, womit sich der Bogen zum Heute schliesst.

Janzing vereint im Prinzip 50 Kraftwerksgeschichten in seinem Buch, wobei den Talsperren Linach und Vöhrenbach Schwerpunkte eingeräumt werden. Die durchgehaltene chronologische Erzählweise und der Beizug zeitgenössischer journalistischer Quellen, macht die Texte detailreich. Dieser Vorteil ist zugleich ein Nachteil: wer chronologisch liest, stolpert bald über Doppel- und Mehrspurigkeiten, weil sich alles bald zu gleichen beginnt. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen. Dafür hätte man sich mehr einen roten Faden gewünscht, der z.B. über die federführenden Personen in dieser Region, über die wir sehr wenig erfahren, hätte aufgerollt werden können.

Die gleichmässige Nacherzählung der Einzelwerke erschwert das Verständnis für die Entstehung der Grosskraftwerke, Mannheim, Rheinfelden/Laufenburg, Schluchsee, Badenwerk, die deutlich dominieren, was so nicht aus dem Buch hervorgeht. Das Atomkapitel ist zu  kurz geraten; war es doch gerade eine Hoffnung der Umweltschützer, mit Atomkraftwerken der Landschaftsverbauung entgegenzuwirken. Wie sich diese Euphorie aufbaute und dann wieder abflaute, hätte genauer erwähnt werden müssen, denn hier wäre originärer badischer Pragmatismus und Liberalismus zum Vorschein gekommen bei der Streitausfechtung (im Gegensatz zur „preussischen“ Kontroverse Brokdorf etwa). Auf Dauer unbefriedigend ist die vielfache Zitierung von Pressestimmen. Hier hätten Originaltöne gefunden werden müssen. Es sei denn, man hätte eine Perzeptionsgeschichte vorlegen wollen.

 

Der Konflikt zwischen öffentlicher und privater Kraftwerkswirtschaft wird immer wieder zitiert, aber nicht wirklich erläutert. Wenig Gewicht erhält schliesslich die Geschichte des Badenwerks, seiner Ideologie, seiner Bedeutung für die nationalsozialistischen Stromplaner, dem Einsatz von Sklavenkräften in der Kriegsstromwirtschaft, und, zu guter Letzt, die neuzeitliche Schaffung der EnBW (die gar nicht auftaucht) und die damit verbundenen Hintergründe.

 

Die Lobpreisungen für Solarstrom sind allerdings nicht eben realistisch. Weder bietet dieser derzeit eine taugliche energiewirtschaftliche Option (was nicht heisst, die Förderung einzustellen), noch hätte er ohne massive Subventionierung eine Chance. Ohne „Staatsknete“ bricht dieser "Markt", der er nicht ist, von heute auf morgen ein.

Bei den Bildern hätte eine Schwerpunktsetzung Not getan: Vom Talsperrenbau gibt es eindeutig zu viele Bilder, zu anderen Textstellen gar nichts. Wieso fehlt zum Beispiel ein Bild der Wutachschlucht, die ja immerhin nicht überbaut wurde? Auch hätten sich einige früher-heute Aufnahmen angeboten. Nicht so toll ist es, Legenden in Bilder zu stellen. Der Einsatz der Farbfotostrecken am Schluss des Buches wirkt beliebig. So erhält das Buch einen Potpourri-Charakter, der mit etwas mehr Feinarbeit hätte ausgeglichen werden können – Zeit genug gab es ja.

Insgesamt ermöglicht Bernward Janzings Buch einen kaleidoskopartigen Blick in die Kraftwerkslandschaft Schwarzwald. Für Interessierte ist das Buch sehr empfehlenswert. Laien gibt es einen bunten Eindruck vom Geschehen „unter Strom“. Sehr beachtlich ist die Verlagsleistung. Ein derart aufgemachtes Werk, das höchstens einen engen Kreis von Leserinnen und Lesern anspricht, in den Buchhandel zu bringen, ist eine beachtliche, mutige Leistung. Die Fleissarbeit des Verlags und des Autoren verdient Respekt.

27.01.03